Arbeitslosigkeit und politische Wirtschaftspolitik: Das neoliberale Europa in der Sackgasse

(Chômage et politique économique en Europe: les impasses du néolibéralisme)

Die Bildung des europäischen Marktes gab Anlass zu grossen Hoffnungen, was die Schaffung von Millionen Arbeitsplätzen anbetrifft. Diese Versprechungen wurden jedoch nicht gehalten, und wir möchten hier aufzeigen, dass das neoliberale Europa in Wirklichkeit nicht fähig ist, einer permanenten Massenarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Die Schaffung von Arbeitsplätzen während des Wirtschaftsaufschwungs zwischen 1986 und 1990 war nicht das Ergebnis einer strukturellen Anpassung. Die Stellen wurden denn auch während der Rezession zu Beginn der 90er Jahre wieder aufgehoben. Diese Rezession kann als Produkt der sogenannten Politik der gegenseitigen Annäherung interpretiert werden.
Die neoliberale Logik basiert auf einem dogmatischen Gedankengut, dessen bevorzugte Ziele die Höhe der Gehälter, der soziale Schutz und die angebliche Starrheit des Arbeitsmarktes sind. Die für den Aufbau Europas gewählte Methode gründet sich also nicht auf der Errichtung eines sozialen Raumes, sondern ist einzig auf die Einführung einer Einheitswährung ausgerichtet. Doch kam es paradoxerweise gerade in dem Moment, als der Vertrag von Maastricht diese Zielsetzung festlegte, zu einem Substanzverlust des europäischen Währungssystems.
Die wichtigste Funktion des im Vertrag von Maastricht angelegten «Verfahrens» ist in Wirklichkeit die Beförderung der neoliberalen Offensive in allen möglichen Formen. Alle programmatischen Dokumente, wie das Weissbuch der europäischen Regierungen, betonen drei Anforderungen: das Ansteigen der Gehälter muss in Schranken gehalten, die Sanierung der öffentlichen Finanzen an erste Stelle gesetzt und eine allgemeine Reduzierung der Arbeitszeit vermieden werden. Diese grundlegende Position erklärt die Unfähigkeit des heutigen Europa, eine konzertierte Wiederbelebung der Wirtschaft zu realisieren und damit eine teilweise Verminderung der Arbeitslosigkeit zu ermöglichen. Denn in der Tat kann eine solche Politik angesichts der anhaltenden Sparmassnahmen in den Staatshaushalten nicht umgesetzt werden. Diese Sparmassnahmen sind selber die Folge der Verminderung der Steuereinnahmen aus Kapitalerträgen und des Ansteigens der Zinssätze, die notwendig sind, um diejenigen, die immer weniger Steuern zahlen, dazu zu bringen, dem Staat Kredit zu gewähren und so das Defizit mitzufinanzieren. Es ist also eindeutig, dass die rigiden Sparmassnahmen im Bereich des Staatsbudgets mit jenen der Gehälter zusammenhängen: In beiden Fällen handelt es sich um eine Aufteilung des Einkommens und nicht um wirtschaftliche Universalgesetze.
Die Sparmassnahmen bei den Gehältern werden durch die Notwendigkeit der Wiederherstellung des Gewinns gerechtfertigt, der dann seinerseits zu Investitionen ermutigen soll. Man stösst hier jedoch auf einen grundlegenden Widerspruch: Das neoliberale Jahrzehnt der 80er Jahre führte durch Ersticken der Nachfrage in die schlimmste Rezession der Nachkriegszeit. Soll auf diese Weise fortgefahren werden, bis es in zwei Jahren wieder zu einer Rezession kommt? Die neoliberalen Stellungnahmen geben auf diese Frage keine zufriedenstellende Antwort.
Wie kann die europäische Kommission unter diesen Bedingungen die Schaffung von 15 Millionen Arbeitsplätzen bis ins Jahr 2000 versprechen? Die Lösung dieses Rätsels findet sich in der spezifischen Rolle, die der Reduzierung der Arbeitszeit zugeschrieben wird. Durch sie sollen mehr Arbeitsplätze bei gleichbleibendem Wachstum geschaffen werden. Doch es handelt sich dabei um eine besondere Form, die auf der Ausdehnung der Teilzeitarbeit oder der gleitenden Arbeitszeit basiert. Alle diese Widersprüche, denen sich das Europa von Maastricht gegenübersieht, führen somit zu einem Projekt, das die allgemeine Unsicherheit weiter verstärken wird.

(Übersetzung: Monika Poloni)

Erschienen in: traverse 1996/2, S. 22