«Das cha nümme so wyter gah. Jetzt muess öppis lauffe!». Vorläufiges zum Schweizer Landesstreik in vergleichender Perspektive


Der Aufsatz erkundet sowohl das Allgemeine als das Besondere des Schweizer Landesstreiks 1918. Aus international vergleichender Perspektive könnte man den Landesstreik betrachten als Kulminationspunkt einer nationalen Streikwelle, die wieder ein (relativ peripherer) Teil eines internationalen «Waldbrandes» war. Und vielleicht war dieser wiederum ein Teil von längeren Streik- und Protestperioden, die alle halbe Jahrhunderte auftreten, und einer «allgemeinen Krise» in Europa. Zugleich liess der Landesstreik viele zusammenhängende Besonderheiten der Schweizer Gesellschaft sehen. Diese laufen auf ein Paradox hinaus: trotz der relativ frühen und relativ umfangreichen Proletarisierung war die schweizerische Arbeiterbewegung im Vergleich zu den umringenden Ländern verhältnismässig schwach und wenig radikal. Der Landesstreik 1918 erscheint vor diesem Hintergrund weder als ein irrationaler Ausbruch von Rebellion, noch als bewusster Anfang einer sozialen Revolution, sondern vielmehr als eine durchaus verständliche, primär defensive Aktion der ArbeiterInnen. Eine radikale Umwälzung stand in keinem neutralen Land auf der Tagesordnung, dennoch herrschte 1917–23 auch im Bürgertum überall eine deutliche Revolutionsangst, nicht nur in der Schweiz, sondern beispielsweise auch in den Niederlanden und Skandinavien. Um die rote Gefahr einzudämmen, wurden den Aufständischen gegenüber Zugeständnisse gemacht, die kurz zuvor noch undenkbar waren. Mit «Zuckerbrot und Peitsche» kam eine Versöhnung zwischen Kapitalismus und einem Grossteil der Arbeiterbewegung zustande.

Erschienen in: traverse 2018/2, S. 111