Vom Überangebot zum Mangel an PhysiotherapeutInnen: Waadt und Genf (1930–1980)

(De la pléthore à la pénurie de physiothérapeutes. Vaud et Genève (1926–1980))

Der Begriff der Krise wird ebenso häufig wie unterschiedlich angewendet und verweist auf multiple Realitäten. Diskurse des Überangebots oder des Mangels sorgen regelmässig für Unruhe in den Gesundheitsberufen und können als Ausdruck einer Krise gelten. Die Westschweizer Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten sahen sich im Lauf ihrer Geschichte gezwungen, sich mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen. Dieser Beitrag stellt die diskursive Anprangerung von Überangebot und Mangel sowie die sich daraus ergebenden Aktionen dar und unterzieht beide Ebenen einer Analyse. Er fokussiert auf zwei zentrale Perioden. Für den Zeitraum von 1930-1950 lässt sich eine heftige Anprangerung und ein hartnäckiger Kampf gegen das medizinische und paramedizinische Überangebot feststellen. Diese erste Phase entspricht den Anfängen der Institutionalisierung der Physiotherapie, die sich damals dauerhaft zu etablieren suchte. Zwischen 1950 und 1980 beschrieben die verschiedenen Akteurinnen und Akteure eine Situation des Mangels an qualifizierten Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, die sich scheinbar zuspitzte. Diese Periode erweist sich indes aufgrund des sich immer rascher und stärker verändernden Kontextes als weit heterogener. Neben der Immigration von Berufsangehörigen, die den Personalmangel beheben sollten, und einschränkenden Massaahmen in der Migrationspolitik, welche den Druck gleichzeitig aufrecht erhielten, stellte sich im Kontext der Kostenübernahme durch die Krankenkassen die Frage nach der Qualifikation neu. Trotz des akuten Mangels zeigte sich in den Debatten immer wieder die Befürchtung eines zukünftigen Überangebots.
(Übersetzung: Veronique Hasler und Elisabeth Joris)

Erschienen in: traverse 2012/2, S. 68