Die Prozesse der Auswahl und Förderung der Kandidatinnen und Kandidaten für die Nationalratswahlen sind noch wenig bekannt. Ihre Analyse kann jedoch aufzeigen, wie sich die Legitimationsweisen der parlamentarischen Vertretung über die Jahrzehnte entwickelt haben. Der Artikel setzt am Beispiel der Kandidatenlisten für die Nationalratswahlen von den Vierziger- bis Achtzigerjahren an. Die stabilen Wahlergebnisse in diesem Zeitraum kaschieren die Tatsache, dass sich der Fokus der Repräsentation von einem Vertrauensverhältnis zwischen der Wählerschaft und verdienstvollen Mandatsträgern («représentation-mandat») hin zu Kriterien wie Geschlecht, Alter oder Beruf («représentation-figuration») verschob. Das verstärkte Streben der Parteien nach gesellschaftlicher Repräsentativität ab den 1960er-Jahren kollidierte allerdings mit weiterbestehenden Reproduktionsmechanismen des politischen Kapitals. Oft fand das neue «imperative Gebot» nur bei den hinteren Listenplätzen Anwendung, was eine Verzerrung zwischen den Profilen der Kandidatinnen und Kandidaten einerseits und denjenigen der Gewählten andererseits bewirkte.
Die Auswahl und Förderung der Kandidaturen für den Nationalrat zwischen 1940 und 1989
(De la représentation-mandat à la représentationfiguration? Les processus de sélection et de promotion des candidat·e·s au Conseil national des années 1940 aux années 1980)Erschienen in: traverse 2018/3, S. 89