Der Traum vom kleinen Weltlabor. Ärztliches Wissen zwischen Universalismus, kultureller Differenz und nationaler Ehrgemeinschaft 1800–1860


Die Geschichte der Identitätsbildung der ärztlichen Zunft ist eng verflochten mit der Geschichte der Entstehung von Nationalstaaten. In der Schweiz war im frühen 19. Jahrhundert das Konzept der Nation politisch marginal, der Fokus der Identifikation lag in den Kantonen, wo auch bis zum Ende des Jahrhunderts die für die Mediziner relevanten Gesetze und politischen Entscheide formuliert wurden. Zugleich war der internationale wissenschaftliche Diskurs in der Medizin stark geprägt durch eine nationale Wettbewerbsrhetorik, der sich auch Schweizer Mediziner nicht entziehen konnten. Im Kanton Bern, eingeklemmt zwischen den Einflussgebieten der deutschen und der französischen Medizin, suchten die Ärzte des Kantonalvereins nach einer eigenen Identität, die zugleich wissenschaftlichen Ansprüchen und den politischen Bedingungen gerecht wurde.

Erschienen in: traverse 2019/1, S. 81