Die Gesamtverkehrskonzeption als utopischer Neuentwurf der Mobilität in der Schweiz


Der Bundesrat gab 1972 eine Gesamtverkehrskonzeption der Schweiz (GVK-CH) in Auftrag. Ihr Zweck war, Lösungen für Probleme zu finden, die als Folge des Verkehrswachstums akut geworden waren: verstopfte Strassen, steigende Verkehrskosten, Umweltverschmutzung etc. Die GVK-CH sollte eine ganzheitliche Verkehrspolitik für die kommenden 30 Jahre entwerfen. Sie hatte Vorschläge zu formulieren, wie das Verkehrssystem der Schweiz gestaltet werden sollte, sodass es den grösstmöglichen Beitrag zur Lebensqualität der Bevölkerung und zur Befriedigung der Verkehrsbedürfnisse der Wirtschaft leisten würde. Der Artikel analysiert sowohl die verkehrspolitischen Vorschläge als auch die von den GVK-Planern zur Anwendung gebrachten wissenschaftlichen Methoden als Ausdruck einer Planungsutopie. In dieser verbanden sich verkehrs- und sozialpolitische Zielsetzungen mit systemtheoretisch-kybernetischen Analyse- und Steuerungsmodellen zu einem holistischen Planungsverständnis. Zu den Ergebnissen dieses integrierten Ansatzes gehörte ein neuartiges Verständnis von Mobilität, das weit über technische und ökonomische Aspekte hinausreichte: Verkehrsinfrastrukturen wurden darin als Instrumente für den Ausgleich regionaler, wirtschaftlicher und sozialer Disparitäten konzeptualisiert.

Erschienen in: traverse 2020/3, S. 120