Kongogräuel, Komplizenschaft und koloniale Unschuld. Schweizer Kolonialbeamte in der Debatte um Gewalt und Ausbeutung im État Indépendant du Congo, circa 1904–1908


Die koloniale Massengewalt im État Indépendant du Congo (EIC) löste in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts auch in der Schweiz eine Debatte zwischen Apologet*innen des EIC und humanitären Reformist*innen aus. Besonderheiten dieser Debatte, die das Verhältnis der Schweiz zum europäischen Kolonialismus genauer zu konturieren vermögen, ergeben sich aus der zeitgenössischen Aushandlung einer spezifisch schweizerischen Unschuld im Angesicht enger kolonialer Verflechtungen. Obwohl über 200 Schweizer im Dienst des EIC standen, verwiesen Reformist*innen auf eine spezifische Legitimität der schweizerischen humanitären Kritik, die auf der formal-staatlichen Nichtbeteiligung am Kolonialismus gründete. Auch Apologet*innen des EIC konnten sich auf diese implizit vorhandene Vorstellung beziehen, wenn sie Kritik am EIC zu einem Angriff auf die Schweizer Kolonialbeamten und damit auf die Unschuld der Schweiz umdeuteten.

Erschienen in: traverse 2023/1, S. 106