Der Landesstreik und die Einwanderung während des Ersten Weltkrieges

(La Grève générale et l’immigration de guerre.)

Unmittelbar nach dem Landesstreik verurteilten sowohl ein Grossteil der bürgerlichen öffentlichen Meinung als auch ein Teil der patriotisch ausgerichteten Linken das angeblich «ausländische Wesen» der Bewegung. Sie prangerten angebliche aus Moskau oder Berlin kommende Befehle, eine davon beeinflusste Sozialdemokratie, zersetzende Handlungen von «Eingebürgerten» und den politischen Aktivismus der Militärflüchtlinge an. Dieser Artikel verortet diese Reaktionen in der Entwicklung des Verhältnisses zwischen Schweizern und Ausländern und insbesondere in der problematischen Aufnahme von kriegsbedingten Einwanderern. Seit Ende 1916 richteten bürgerliche Meinungsführer ihr Augenmerk auf die Präsenz von Ausländern, die immer stärker als «unerwünscht» und gefährlich für die Ordnung und den Zusammenhalt der nationalen Gesellschaft beurteilt wurde. Dass die Arbeiterbewegung die Forderungen der Deserteure und Refraktäre unterstützte, verschärfte die Spannungen. Pressekampagnen, namentlich der bürgerlichen Zeitungen der Genferseeregion, trugen mit ihren fremdenfeindlichen und antisemitischen
Untertönen dazu bei, die Abwehrhaltung gegen die Überfremdung zu verstärken.
In der Einwanderungspolitik wichen die liberalen Ansätze der Vorkriegszeit protektionistischen Massnahmen. Mit dem Landesstreik setzte sich der Aufbau eines Sozialstaates als prioritäres Ziel der Nachkriegszeit durch. Er sollte sich schliesslich über Sozialreformen, die die einheimischen Arbeitskräfte bevorzugte, und eine Migrationspolitik, die die bereits niedergelassenen Ausländer förderte, vollziehen.

Erschienen in: traverse 2018/2, S. 193