Die Drei-Welten-Theorie in der Schweiz oder: das maoistische Denken im Land der geistigen Landesverteidigung

(La Théorie des Trois Mondes en Suisse, ou la pensée maozedong au pays de la défense spirituelle)

Von 1964 bis 1987 fungierte die Kommunistische Partei der Schweiz / Marxisten-Leninisten (KPS/ML), die einzige von Peking anerkannte maoistische Partei in der Schweiz, als Sprachrohr der Volksrepublik China. Seit 1974 geschah das vor allem durch die Drei-Welten-Theorie, ein von der Volksrepublik verordnetes geopolitisches Analyseraster zur Durchsetzung ihrer neuen Aussenpolitik. Dieser Beitrag fragt danach, weshalb die prochinesischen Kreise in der Schweiz diese Doktrin übernahmen, ob sie an den nationalen Kontext angepasst wurde und wenn ja, auf welche Art. Die KPS/ML war ausgesprochen sowjetfeindlich und sprach sich deshalb dafür aus, die Schweizer Armee zu verstärken und die Atomkraft auszubauen. Beide Vorschläge wurden als Schutzmassnahmen sowohl gegen den amerikanischen «Imperialismus» als auch gegen den sowjetischen «Sozialimperialismus» dargestellt. Zunächst werden die Übertragungskanäle der chinesischen Propaganda betrachtet, dann wird dargelegt, wie sich die Positionen und Argumente der Partei veränderten. Anhand dessen wird gezeigt, wie ein revolutionärer Diskurs zwischen Treue gegenüber dem chinesischen Modell und Anpassung an die heimischen politischen Bedingungen schwankte und damit letztlich bürgerliche Positionen unterstützte.

Erschienen in: traverse 2019/1, S. 125