Die Versicherung – von den Anfängen zum allgemeinen moralischen Risiko. Wo liegen die Grenzen der kollektiven Risikoübernahme?

(L’assurance des origines au risque moral généralisé. Quelles limites à la mutualisation des risques?)

Die Versicherung ist eine von mehreren denkbaren institutionellen Verwirklichungen zur Begrenzung externer Risiken: Es existieren viele weitere Formen wie Sparen oder Selbstschutz, die ebenfalls auf genossenschaftlichen Prinzipien basieren (genossenschaftliche Hilfskassen, nachträglich geleistete Solidarität). Der Beitrag legt dar, wie sich die Versicherung aus einer kaufmännischen Praxis entwickelte, die darauf beruhte, eine Rückerstattung von Schäden aller Art – hauptsächlich im Voraus – zu berechnen, wobei die Kreditwürdigkeit moralisch gesichert sein sollte. Die antiken und mittelalterlichen Ursprünge lassen zum einen auf Solidarität basierende Praktiken erkennen, die oft einen berufsbezogenen Ursprung hatten, und zum anderen spezifisch maritime Eigentümlichkeiten aufwiesen. Vor allem aber die Entwicklungen in der Frühen Neuzeit, mit der angesichts des Aufkommens der absolutistischen Staatlichkeit eine Verminderung der religiösen Bruderschaften einherging, führten zu neuen Formen der Versicherung «gegen die Langlebigkeit» wie Leibrenten oder Hinterbliebenenrenten. Die Entwicklung der Wahrscheinlichkeitsrechnung liess neue Solidaritätssysteme entstehen. Aufsehenerregende Konkurse von berufsgenossenschaftlichen Kassen schärfte zudem das Bewusstsein für die betriebswirtschaftlichen Aspekte des Versicherungswesens. Mit wenigen Ausnahmen fand aber eine flächendeckende Ausbreitung der Versicherung nicht vor dem Zeitalter des Massenkonsums und der Einführung des Versicherungsobligatoriums statt. Sich mit den Ursprüngen des Versicherungswesens zu befassen erlaubt es, einige überraschende Schlussfolgerungen zu ziehen: Besonders bemerkenswert ist es, dass die Risikoberechnungen meist nicht die Handelspraktiken lenken, sondern vielmehr den Anspruch haben, die öffentliche Gewalt auszuleuchten. Demgegenüber sind es immer die kommerziellen Versicherer, die Informationsasymmetrien erkennen und korrigieren, um ihre Aktivität profitabel zu gestalten. Nicht zuletzt dadurch haben sie zur Lösung des zeitgenössischen Problems der Universalversicherung beigetragen.

Erschienen in: traverse 2014/3, S. 37