Die Zeit der Bergbauern im Mittelalter

(Le temps des paysans alpins au Moyen Âge. Tour d'horizon et inventaire des problèmes)

Die Moderne zeichnet sich – unter anderem – durch ein bestimmtes Verhältnis zur Zeit aus. Auf der Suche nach den Wurzeln dieses Verhältnisses hat die Geschichtswissenschaft heute eine Richtung eingeschlagen, die stark von Norbert Elias geprägt ist. Vor allem Jacques Le Goff hat gezeigt, wie sich seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts eine weltliche, moderne Zeitvorstellung ausbildete. Dieser Prozess verlief parallel zur Entwicklung der mechanischen Uhr, welche die Zeit in gleichförmige Abschnitte einteilt.
Dieser Ansatz ist zwar nahliegend und interessant, hat jedoch die Aufmerksamkeit der Forschung allzu stark in Beschlag genommen und dadurch den Blick auf die Geschichte der Zeit zu sehr eingeengt. Dadurch hat man soziale Gruppen und Regionen vernachlässigt, die lange ohne Uhr gelebt und sich die neue Zeitmessung erst spät zu eigen gemacht haben. Dieser Einwand fällt um so schwerer ins Gewicht, als die überwiegende Mehrheit der europäischen Bevölkerung zwischen 1300 und 1800 zu diesen «Spätzündern» zählte. Allen Modeströmungen zum Trotz muss man deshalb auch die ländlichen Gesellschaften berücksichtigen und fragen, wie sie Zeit erfahren haben und damit umgegangen sind. Die Soziologie, Anthropologie und Geographie haben übrigens schon seit längerem gezeigt, welchen Weg die Forschung einschlagen müsste.
Am Beispiel alpiner Bergregionen stellt der Artikel die These auf, dass der Alltag der Bauern stark vom Faktor Zeit bestimmt war. Die ländliche Bevölkerung orientierte sich am Stand der Sonne und an den Jahreszeiten, weshalb ihnen mechanische Uhren keinen Nutzen brachten. Um diese These zu veranschaulichen, analysiert der Beitrag in einem Überblick, wie die alpine Bevölkerung im Mittelalter in verschiedener Hinsicht vom Faktor Zeit bestimmt wurde: er prägte die Landwirtschaft, die sich gegen 1400 mit der Verbreitung der Viehzucht recht stark zu verändern begann, er prägte die Herrschaftsverhältnisse, den religiösen Bereich, das Pfarreileben sowie die Kontakte zwischen Stadt und Land.

(Übersetzung: Marietta Meier)

Erschienen in: traverse 1997/3, S. 63