In der Typologie der unterschiedlichen Risikokategorien kam in Frankreich das Konzept des Umweltrisikos spät auf. Die in den Jahrzehnten 1960–1990 besonders schwerwiegenden industriellen und maritimen Katastrophen führten gleichwohl zu einer beispiellosen Sensibilisierung für potenzielle Umweltschäden durch die industrielle Nutzung und den Transport von Energieressourcen. Die Konstitution des Konzepts eines grossen Risikos (risque majeur) scheint wohl durch seine Fähigkeit, natürliche und technologische Gefährdungen gleichermassen einzuschliessen, das Aufkommen des Konzepts des Umweltrisikos gebremst zu haben. Letzteres wurde darauf beschränkt, nur ein vages Synonym zur Beschreibung von bereits existierenden Gefahren zu sein. Die auf dem Ansatz des «Verantwortungsprinzips» basierenden Arbeiten von Hans Jonas über die technische Übermacht und die Bedrohungen, die auf der gesamten Menschheit lasten, identifizieren die Umwelt als Objekt menschlich verursachter Schäden. Ulrich Beck und Anthony Giddens erhoben das Umweltrisiko mit ihren Arbeiten zur reflexiven Moderne auf eine konzeptuelle Ebene. Integriert in das Problem der juristischen Definition des ökologischen Schadens und der Umweltverantwortung, scheint das Umweltrisiko seither die präskriptive Dimension einer globalen Bedrohung erreicht zu haben, die unterschiedslos auf Personen und Gütern lastet.
Die Entstehungsgeschichte des Konzepts des Umweltrisikos in Frankreich. Die Folgen der industriellen und maritimen Katastrophen
(L’émergence historique du concept de risque environnemental en France. L’apport des catastrophes industrielles et maritimes)Erschienen in: traverse 2014/3, S. 105