Multimodale Mobilität


Die Mobilitätsgeschichte hat bisher die Modi der Nutzung und der sozialen und kulturellen Verankerung unterschiedlicher Transportmittel durchwegs isoliert betrachtet. Technische Gemeinsamkeiten werden immer wieder einmal angesprochen, viel seltener jedoch Gemeinsamkeiten der Nutzung. Bei der Analyse von Biographien früher Nutzer erschliesst sich hingegen eine Vielfalt von Gemeinsamkeiten der Erfahrungen und der Übertragung und Adaption von Fähigkeiten der Multinutzer. Während Räder und Radfahren als Erfahrungsbasis einigermassen im Fokus der Mobilitätsforschung stehen, ist beispielsweise weder die Pferdemobilität adäquat berücksichtigt worden, noch sind Vorerfahrungen wie das Segeln kleiner Boote oder das Motorradfahren als Basis für das Fliegenlernen genauer untersucht worden.
Der Aufsatz stützt sich auf exemplarische Mobilitätsbiographien von Nutzern, die verschiedene Arten und Gattungen von Mobilitätsmaschinen nacheinander oder gleichzeitig benutzten: Räder, Boote, Automobile, Fluggeräte usw. Als gemeinsame Anforderungen werden Fähigkeiten zum Multitasking und zum Umgang mit komplexen, rasch wechselnden Situationen sowie das «Beherrschen» von Geschwindigkeit und Beschleunigung identifiziert. Die multimodalen Biographien lassen auch Schlüsse auf Typologien zu: Sport (als weiter Begriff) und Militär bildeten einen Erfahrungsrahmen und das Rekrutierungspotential der Nutzer, ohne dass Sportler und Offiziere exklusiv waren, denn auch Techniker waren eine signifikante Nutzergruppe. Damit ergeben sich die Umrisse einer transmodalen Kultur individueller Mobilitätsmaschinen, über eine «Geschwindigkeitskultur» hinaus, die generell in der Kultur der Jahrhundertwende angelegt sind.

Erschienen in: traverse 2020/3, S. 62