Sehen, Riechen, Tasten, Schmecken. Eine Archäologie des Geschmacks im Mittelalter


Untersucht werden gelehrte, zeitgenössische Vorstellungen über (gutes) Essen als synästhetisches Ereignis. Die theoretische Grundlage kulinarischer Schöpfungen der seit dem 13. Jahrhundert in Europa anhand von Kochrezepten fassbaren Hochküche sind die medizinisch-diätetischen Prinzipien guter Lebensführung, festgehalten in den sogenannten Gesundheitslehren (Regimina sanitatis). Im Artikel werden die gastro-philosophischen Schlüsselwerke von Isaac Judaeus (10. Jh.) und Ibn Butlan (11. Jh.) vorgestellt, die im 16. Jahrhundert neuerlich rezipiert wurden. Bekannt sind (vor allem) die Prachthandschriften des Tacuinum sanitatis Ibn Butlans. Die beiden Ärzte-Philosophen formulieren mit einem reichen Vokabular eine elaborierte Ernährungs- und Lebenslehre im Rahmen der Säfte- und der Temperamentelehre. Das Reden und Schreiben über Ernährung umfasste immer zentral die Vorstellung über die Sinne, weil der Wirkung und den Wahrnehmungen der acht Geschmäcke nicht nur psychologische sondern auch physiologische Bedeutung (Stoffwechsel und Verdauung!) beigemessen wurde.

Erschienen in: traverse 2015/2, S. 57