Das Tagebuch meines Lebens wurde zwischen 1764 und 1802 vom Pariser
Glaser Jacques-Louis Ménétra geschrieben und bietet die Gelegenheit, von innen her und auf lebendige Weise zu verstehen, wie die Handwerkerfamilie mit ihrer Überschneidung von Arbeit, Interessen und Gefühlen funktioniert. Es ist zunächst ein Zeugnis für die Erziehung und die Lehrzeit, in dem man die Rolle der engeren Familie des Vaters und seiner legitimen Autorität und der erweiterten Familie der Grossmutter und der Onkeln väterlicherseits und mütterlicherseits wahrnimmt. Der Jugendliche lernt in der Werkstatt unter Anweisung seines Vaters die Handgriffe des Berufs und die Bräuche der Welt: Er lernt die Stadt, die Bürger als Unternehmer oder Kunden, die Glücksfälle, dann die Autonomie kennen. In der darauf folgenden Erzählung entdeckt er die Bedingungen der Wanderschaft; sie lässt erkennen, wie stark die Hoffnung auf Niederlassung, die Sexualität und die Konventionen der Gesellenschaft miteinander verbunden sind. Schliesslich, nach der Rückkehr, der Niederlassung und der Hochzeit in Paris, sieht man, wie sich die Mechanismen der familiären Herrschaft und der Autorität in wirtschaftlichen Belangen abspielen. Der Konflikt zwischen Ménétra und seiner Frau erinnert an den Konflikt zwischen Freiheit und Reglementierung, an die Gegenüberstellung von stationärer und häuslicher Ökonomie und freiem Unternehmen. Aufs Ganze gesehen macht Ménétras Autobiographie auf die Mehrdeutigkeit der Brüderlichkeit aufmerksam. Diese entfaltet sich im Schoss verschiedener Familien, deren jeweiliger Einfluss sich je nach Lebenszyklus, also je nach Verhältnis zum Geld oder zur Erziehung, verstärkt oder in den Hintergrund tritt. So ist Ménétras Weg von der Konfrontation zwischen biologischer Familie und Praxis der Verschwägerung geprägt; er wird ebenfalls zum Zeugen für die Brüderlichkeit unter Gesellen, die zur Institution geworden ist, und er hat in einer Umbruchszeit der Geschichte die Gelegenheit zu erkennen, wie das paternalistische Modell der kleinen Handwerksmeister in Frage gestellt wird.
(Übersetzung: Valérie Périllard)