Politiken der inneren Sicherheit werden mitunter schnell als eine Politik des Durchregierens gedeutet. Insbesondere am Flughafen scheinen sie Ausdruck rigider staatlicher Mobilitätskontrolle und einer Entindividualisierung der Reiseerfahrung zu sein. Am Fallbeispiel des Hamburger Flughafens unterzieht der Artikel diese Deutung einer empirischen Differenzierung. Er richtet den Blick auf die Alltagsebene und eine konkrete Akteursgruppe: die sogenannten Vielflieger. Wie haben diese Akteure, für die das Fliegen eine Alltagsmobilität bedeutete, auf die zunehmenden Sicherheitsmassnahmen seit den 1970er-Jahren reagiert? Ausgehend von schriftlichen Eingaben und Äusserungen zeigt der Artikel, dass Vielflieger selbst am Prozess der Versicherheitlichung beteiligt waren. Im Kontext des verbreiteten Unsicherheitsempfindens seit den 1970er-Jahren begrüssten sie die Massnahmen, wiesen auf Kontrolllücken hin und wirkten so als ‹Sicherheitskomplizen›. Versicherheitlichung war mithin kein reiner Top-down-Prozess. Selbst Reisende, die sich an einzelnen Vorgehensweisen stiessen, artikulierten ihre subjektiven Ansprüche, ohne die Sicherheitsmaxime an sich infrage zu stellen. Sicherheitskontrollen pauschal als staatlichen Zugriff zu deuten, dem sich die Passagier/innen beugen mussten und der ihre individuellen Freiheiten einschränkte, greift daher zu kurz. Der Blick auf die Alltagsebene zeigt vielmehr, dass die strukturelle Entindividualisierung durch Sicherheitsregularien paradoxerweise mit der Wahrnehmung, Artikulation und teils sogar Durchsetzung individueller Interessen einherging.
Vielflieger als Akteure der Versicherheitlichung. Das Fallbeispiel Hamburger Flughafen, 1970er- bis 1990er-Jahre
Erschienen in: traverse 2020/3, S. 104