Der Bundesrat als kollektive Skandalfigur während des Kalten Kriegs?


Der Schweizer Bundesrat ist dem Kollegialitäts- und Departementalprinzip unterstellt, Regierungsentscheide müssen im Kollektiv gefällt werden. Der Beitrag prüft die Frage, inwiefern die Schweizer Landesregierung während den Jahrzehnten des Kalten Krieges als kollektive Skandalfigur wahrgenommen worden ist. Dargestellt wird dies anhand dreier Fallbeispiele: dem Mirage-Skandal, der Auseinandersetzung um die Aufnahme chilenischer Flüchtlinge nach Pinochets Militärputsch im Jahr 1973 und der Exportbewilligung einer Schwerwasseranlage in das diktatorisch regierte Argentinien. Jedes der drei Fallbeispiele zeigt eine der drei möglichen Facetten des Umgangs des Bundesrats mit Skandalen auf: Beim ersten Fallbeispiel kritisierte eine Parlamentarische Untersuchungskommission das Verhalten der Landesregierung, ein Bundesrat trat aus parteiintern Gründen zurück. Beim zweiten Fallbeispiel, der Flüchtlingspolitik nach dem Militärputsch in Chile, verweist ein einzelner öffentlich kritisierter Magistrat auf die Verantwortung des Gesamtbundesrats. Beim dritten Fallbeispiel, legitimiert der Bundesrat seinen Entscheid durch die Expertise der Bundesverwaltung. Bei allen Ereignissen kann belegt werden, dass der Bundesrat von Zeitgenossen im Sinne einer kollektiven Skandalfigur wahrgenommen worden ist. Bei der Analyse des Umgangs der Landesregierung mit skandalträchtigen Situationen zeigt sich jedoch, dass Schuldzuweisungen gegenüber dem gesamten Gremium in keinem einzigen Fall wirkungsvoll gewesen sind. Die geschilderten Episoden aus der Schweizer Geschichte zeigen auf, dass der Bundesrat aufgrund seiner überparteilichen Zusammensetzung und seiner gemeinsamen Verantwortung beinahe resistent war gegen politische Skandale und Affären. Die Kritik an der Politik des Bundesrates war zielgerichteter, wenn stellvertretend ein einzelner Magistrat ausgewählt worden ist. Letztlich erfolgreich war dies jedoch nur bei der Mirage-Affäre, weil dem zurücktretenden Bundesrat von der eigenen Partei die Unterstützung verweigert wurde.

Erschienen in: traverse 2015/3, S. 102