Der sterbende Rhein im Kontext der Energiefrage in den 1970er-Jahren. Eine wirtschaftskulturgeschichtliche Perspektive auf die deutsche chemische Industrie


Der Artikel untersucht die Wirkungsmächtigkeit gesellschaftlicher Erwartungen auf unternehmerische Entscheidungsprozesse. Um die Frage nach der historisch überprüfbaren Anreizsetzung zur nachhaltigen und sicheren Ressourcennutzung für Unternehmen zu beantworten, werden Nutzenmaximierungsmodelle ökonomischer Provenienz um neoinstitutionalistische Überlegungen ergänzt. So werden «Wirtschaft» und «Umwelt» zu interdependenten Kategorien zur Erforschung veränderter Umwelt- und Ressourcenstrategien von Unternehmen.
Am Beispiel der Nutzung des Rheins wird gezeigt, wie die deutsche chemische Industrie den Fluss zunächst ausbeutete und ihn existenzbedrohlich schädigte. Es handelte sich dabei nach dem Zweiten Weltkrieg um eine pfadabhängige Handlungsstrategie, die gesellschaftlich legitimiert war. Mit den Forderungen nach Umweltschutz und Nachhaltigkeit seit Beginn der 1970er-Jahre ging die gesellschaftliche Konstruktion des öffentlichen Gutes «Umwelt» einher. Formale Umweltschutzgesetze und transformierte Erwartungen gegenüber der chemischen Industrie waren die Folge. Die Wirkungsmacht von Sicherheits- und Nachhaltigkeitssemantiken gegenüber unternehmerischen Entscheidungen war jedoch grösser als die formale Gesetzgebung, was eine rein ökonomische Theorie nicht abbilden kann. Damit wird gleichzeitig gezeigt, dass unternehmenspolitische Entscheidungen nicht universal gültig, sondern vielmehr kulturrational sind.

Erschienen in: traverse 2013/3, S. 124