Zwischen Erkenntnis und Gefühl: Zur Geschichte des «Naturgefühls» von der Aufklärung bis zur Romantik

(Entre connaissance et émotion. Un épisode de l'histoire du «sentiment de la nature» des Lumières au romantisme)

Die heutige Ökologie versteht, sowohl als theoretischer Diskurs als auch als politische Aktion, unter Natur ein Ganzes, das die unbelebte Welt, alle Lebewesen und die menschlichen Existenzformen auf dem ganzen Planeten umfasst.
Dieses Verständnis, so selbstverständlich es heute erscheinen mag, ist das Ergebnis einer tiefgreifenden Veränderung des klassischen Naturbegriffs: Natur ist nicht mehr ein passives Objekt, sondern sie spielt einen eigenständigen, aktiven Part in den Beziehungen zu den Menschen. Eine wichtige Episode dieses Wandels fällt in die Zeit zwischen Aufklärung und Romantik Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Als Galionsfigur kann Alexander von Humboldt gelten, Reisender, Naturwissenschafter und Gelehrter in einer Person. Er unternahm den Versuch, das, was er «Naturgefühl» nannte, mit seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen in Einklang zu bringen. Sein Werk zeichnet sich durch den expliziten Willen aus, die Erkenntnis der Natur zu reformieren. Insbesondere schlug er eine neue Art, sie zu beschreiben, vor. Dabei werden Kontemplation, die Hervorhebung der organischen Formen und die Erfindung origineller Methoden sprachlicher und bildlicher Darstellung miteinander kombiniert. Dieses Humboldtsche Erkenntnisprojekt ist damit unweigerlich auch ein literarisches Projekt.

(Übersetzung: Albert Schnyder)

Erschienen in: traverse 1997/2, S. 31