Worte und Bilder. Die «grossen Männer» im alten Rom

(Faits de mots et d'images. Les grands hommes de la rome ancienne)

«Grosse Männer» prägten nicht nur das Bild der römischen Antike, das seit dem 16. Jh. in der europäischen Literatur, Philosophie, Geschichtsschreibung und Philologie entworfen wurde. Im antiken Rom selbst gehörten die «grossen Männer» zum Alltag. Sie hatten seit Ende des 4. vorchristlichen Jahrhunderts eine unumgängliche bildliche und narrative Präsenz: auf den Strassen und Plätzen der Stadt in Form von Statuen und Bildern, in den politischen und Gerichtsreden als Anekdoten, auf die kaum ein Redner verzichtete. Allerdings trat in all diesen Darstellungen das Individuelle der «grossen Männer» bis zur Unkenntlichkeit zurück hinter die Konstruktion einer Figur, welche eine der Tugenden des gesellschaftlichen Wertekanons ideal verkörperte. Die Analyse dieses Figurationsprozesses zeigt die «grossen Männer» als Element der «Mythifizierung der Gegenwart» (Hölscher), welche der römischen Gesellschaft zur normativen und formativen Orientierung diente. Als Instrument zur Untersuchung der sozialen und kulturellen Bedeutung dieser Figuren bietet sich das Konzept des sozialen Gedächtnisses an, das auf der Grundlage des allzu strukturalistisch geprägten Begriffs des «kulturellen Gedächtnisses» (Halbwachs, Aleida und Jan Assmann) entwickelt wird. Die Untersuchung der «grossen Männer» erfasst auf diese Weise die diskursiven Bedingungen römischer Männlichkeit und damit ein zentrales Element der gesellschaftlichen Definition der Geschlechter.

(Übersetzung: Thomas Späth)

Erschienen in: traverse 1998/1, S. 35