Fussball und Modernität. Die Schweiz und die Ausbreitung des Fussballs auf dem Kontinent

(Football et modernité. La Suisse et la pénétration du football sur le continent)

Bei der Ausbreitung des Fussballs in Europa zwischen 1880 und 1910 hat die Schweiz eine zentrale Rolle gespielt. Die Ausübung des Spiels wurde stark mit Modernität verbunden und bestärkte die Bindung zu England. Bereits vor 1880 gründeten Privatschulen am Genfersee die ersten Fussballmannschaften. Und schon bald ergriff das Fussballfieber die Schüler vieler anderen Institutionen.
Mehr als die eigentliche Sporttätigkeit faszinierte diese ersten sportsmen der English way of life. Als Industriemanager exportierten sie nicht nur ihr Knowhow, sondern auch ihre Freizeitbeschäftigungen: den Tourismus, den Alpinismus und den Fussball.
Von Barcelona bis Neapel, von Nîmes bis Mailand ist die Einführung des
Fussballs eng mit der Schweiz verbunden. Träger dieser Ausbreitung waren sowohl Schweizer, die sich in den vornehmen Stadtteilen von Marseille oder Mailand niederliessen, als auch Einheimische, die in der Schweiz zur Schule gegangen waren oder hier studiert hatten. Durch den Fussball offenbarten sie das Vordringen der industriellen Revolution und ihren Glauben an die freie Marktwirtschaft. Dabei traten sie aber auch gegen die Verfechter der traditionellen Unterrichtsmethoden auf und stellten die Legitimität der Schützen- und Turnvereine mit ihrer kriegerischen und patriotischen Begleitmusik in Frage. Indem sie Fussball spielten, übten sie sich in Team- und Unternehmergeist und kultivierten gleichzeitig das Bild des Selfmademan.
Die Entwicklung und das Interesse, das die aufstrebenden Mittelschichten dem Fussball widmeten, können als Ausdruck einer neuen Alltagskultur gesehen werden. Die Fussballvereine, in denen Englisch weiterhin als offizielle Sprache galt, wurden zu einem Integrationsmittel und übten gleichzeitig eine Sogwirkung auf die lokale Mittelschicht aus. Zwei Beispiele verdeutlichen wohl besser als viele andere diesen Prozess: Hans Gamper, der 1899 den Fussball
Club von Barcelona gründete, und Hermann Aeby, der zusammen mit Kollegen 1908 Inter Milano ins Leben rief. Dem Protektionismus abgeneigt, öffnen sie ihre Vereine den Vertretern verschiedener Kulturen, wobei Fussball stellvertretend für ihr Gesellschaftsbild stand.

(Übersetzung: Thomas Busset)

Erschienen in: traverse 1998/3, S. 76