Selbstdisziplinierung statt Regulierung. Die Strategie der Unternehmensverbände zur Bekämpfung der konjunkturellen «Überhitzung» um 1960

(L’autodiscipline en guise de régulation La stratégie patronale à l’heure de la surchauffe économique en Suisse autour de 1960)

Sabine Pitteloud interessiert sich für den Versuch, privatwirtschaftliche Antworten auf die Teuerung der 1960er-Jahre zu finden. Arbeitgeber und Gewerkschaften waren sich zwar einig in der Diagnose, dass die Schweiz an einer konjunkturellen „Überhitzung“ leide. In der Analyse der Ursachen und möglicher Lösungen wichen sie jedoch erheblich voneinander ab. Im Zentrum des Beitrags stehen die Selbstregulierungsmassnahmen, zu denen der Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrievereins (kurz: Vorort) und der Schweizerische Arbeitgeberverband aufriefen. Ihre Strategie zielte darauf ab, die Teuerung durch eine Selbstdisziplinierung der Privatwirtschaft zu lindern und damit staatliche Interventionsmassnahmen zu verhindern. Zu diesem Zweck ermunterten der Vorort und die Arbeitgeberverbände ihre Mitglieder mitunter auch zur Plafonierung von Preisen, Personalbeständen oder Investitionen und damit zu Massnahmen, die an sich gegen die Prinzipien der freien Marktwirtschaft verstiessen. Das führte rasch zu Widersprüchen zwischen dem übergeordneten volkswirtschaftlichen Ziel, die Teuerung einzudämmen und die Wettbewerbsfähigkeit schweizerischer Exportgüter zu erhalten, und den Unternehmensinteressen an einer Expansion ihrer Geschäftstätigkeit; dies umso mehr, als die Massnahmen freiwilliger Natur waren. Letztlich konnte die staatliche Intervention in der Form dringlicher Bundesbeschlüsse zwar nicht verhindert werden, doch die bundesstaatlichen Konjunkturmassnahmen von 1965 waren von begrenzter Wirkung, indem sie zeitlich beschränkt waren und sich inhaltlich an den von Unternehmerseite vorgeschlagenen Selbstdisziplinierungsmassnahmen orientierten.

Erschienen in: traverse 2017/3, S. 113