Die Entstehung der Figur des Problemkindes im Feld der Erziehung und der Sonderpädagogik: Eine soziale Konstruktion, die Behinderung Wirklichkeit werden lässt (Genf, 1912–1958)

(L’émergence de la figure de l’enfant-problème dans le «champ» de l’éducation et de l’enseignement spécialisé: une construction sociale handicapante (Genève, 1912–1958))

Der Artikel zeigt in begriffsgeschichtlicher Perspektive auf, wie die Begriffsverwendung im Bereich des Kinderschutzes nicht nur soziale Repräsentationen des Kindes, sondern auch dessen Problematisierung durch die Akteure und Akteurinnen im Bereich der Erziehung und der Sonderschulung erkennen lässt. Als neue Figur des Anormalen entsteht das «Problemkind» zum einen aus einem segregativen institutionellen Dispositiv (von der Vorsorgeuntersuchung bis zur Fremdplatzierung), zum andern geht es aus einem Prozess der Problemdefinition hervor. Beides ist dabei politischen Entscheidungen unterworfen (etwa derjenigen zur Förderung der Prävention). Schliesslich ist das «Problemkind» auch das Resultat wissenschaftlicher Entwicklungen (in den Bereichen der medizinisch-pädagogischen Expertise und der Entwicklungspsychologie). In dieser Hinsicht ist das «Problemkind» das Resultat einer historisch bestimmten sozialen Konstruktion, die Behinderung Wirklichkeit werden lässt. Die Autorin zeigt dies am Beispiel der Entwicklungen in Genf in den Jahren 1912–1958 auf. In dieser Zeit etablierten sich gleichzeitig ein behördliches Dispositiv des Kinderschutzes und die Institutionalisierung der Erziehungswissenschaften. Beide beteiligten sich an der Vervielfältigung der Subkategorien des «schwierigen Kindes», eines zentralen Begriffs im Bereich der Prävention der Jugendkriminalität, welche die Sozialpolitik seit dem Ende der 1920er-Jahre dominierte.

Erschienen in: traverse 2006/3, S. 100