Welchen Platz für eine Geschlechterperspektive innerhalb der «Disability history»? Geschichte der Frauen- und Männerkörper gesehen durch Behinderung

(Quelle place pour une perspective genre dans la «disability history». Histoire du corps des femmes et des hommes à travers le handicap)

In den letzten drei Jahrzehnten entwickelten sich innerhalb der Human- und Gesellschaftswissenschaften die gender studies und die disability studies, welche die Erforschung von bisher ignorierten, da marginalisierten Gruppen von Individuen anregte. Aber obwohl die gender studies die Visibilität von Frauen und der sozialen Beziehungen zwischen den Geschlechtern verstärkte, fehlte eine Konzeptualisierung von Behinderung innerhalb der aufgegriffenen Themen, die implizit nur den gesunden Körper behandelten. Und was die disability studies betrifft, hat sich deren historische Annäherung an das Thema Behinderung unter Auslassung der Kategorie gender vollzogen. In den 1990er-Jahren entwickelte sich dann ein gemeinsamer Anknüpfungspunkt der zwei Zugänge innerhalb der sogenannten feminist oder women’s disability studies; die historische Perspektive wurde jedoch weiterhin vernachlässigt. Der vorliegende Artikel möchte aufzeigen, dass es sich lohnt, dieses historiografische Defizit bezüglich gender und Behinderung auszugleichen, und greift zu diesem Zweck verschiedene Themen auf, in denen sich die körperlichen Dimensionen von physischer Behinderung mit der sexualisierten Dimension des Körpers über verschiedene Epochen hinweg kreuzen. So werden Beispiele von Diskursen «wissenschaftlicher Experten» über Behinderung, von ikonografischen und literarischen Repräsentationen von Behinderung sowie von kollektiven und individuellen Erfahrungen mit Behinderung analysiert. Dieser Blick auf die disability history, vermittelt über die Perspektive des Geschlechts, wirft ein neues Licht auf die Geschichte des Körpers.

Erschienen in: traverse 2006/3, S. 47