Rivesaltes 1939–2015. «Was eine Stätte hat, hat stattgefunden?»

(Rivesaltes 1939–2015. «Avoir un lieu, c'est avoir eu lieu»?)

Rivesaltes liegt in den französischen Ostpyrenäen und bewahrt auf einem weitläufigen Gelände die Spuren jener Gewalt, der zwischen der Errichtung des Militärlagers «Joffre» im Jahre 1939 bis zur Schliessung eines Abschiebegefängnisses 2007 rund 60.000 „unerwünschte“ Personen ausgesetzt waren. Der Beitrag arbeitet drei Ebenen von Materialität heraus, welche die Vermittlung der traumatischen Geschichte dieser Stätte prägen.

Die erste Ebene besteht in den Ruinen des ehemaligen Internierungslagers. Deren Erhaltung haben Opferverbände und lokale Politiker durch langjähriges regionales und nationales Engagement erreicht. Die zweite manifestiert sich in «Memorialisierungen», den Monolithen am Rand des Geländes sowie Erinnerungsritualen als Formen gemeinschaftlichen Gedenkens. Diese verbinden sich mit der von den Interessengruppen vorgebrachten Forderung nach öffentlicher Anerkennung dieses dunklen Teils der lokalen, nationalen und transnationalen Geschichte.

Die dritte Ebene der Materialität wird durch museale Vermittlung geschaffen. Nach mehr als zwei Jahrzehnten der Konfrontation zwischen der Lokalbevölkerung und den Fürsprecher:innen der Gedenkstätte entstand in Block F in der Mitte des Lagers ein Interpretationszentrum. Das halb unterirdische Gebäude wurde im Einklang mit dem Ort konzipiert. Die darin untergebrachte Dauerausstellung, erarbeitet von einem Komitee aus Historiker:innen, Vertreter:innen der Opferverbände und einigen Zeitzeug:innen, präsentiert eine Chronologie der Funktionen, die dem Lager zugewiesen wurden, und verschränkt sie mit den vielen damit verbundenen Erinnerungsschichten.

Gleichzeitig untersucht der Beitrag aus empirischer wie theoretischer Sicht den Erzählinhalt und seine Dispositive sowie die Vermittlungsformen im Sinne einer Museumsgeschichte («muséohistoire»).

Übersetzung: Die Herausgeber:innen

Erschienen in: traverse 2023/3, S. 42