Tagebuchschreiben als Zeitpraxis. Kriegstagebücher im Ersten Weltkrieg


Tagebuchschreiben stellt eine Zeitpraxis dar, in der auch Be- und Entschleunigung verhandelt wird. Dieser Zusammenhang wird im vorliegenden Aufsatz anhand von deutschen Kriegstagebüchern des Ersten Weltkrieges näher untersucht. Die Analyse unedierter Tagebücher ergibt, dass das Kriegstagebuch ein wichtiges Mittel war, der bedrückenden soldatischen Zeiterfahrung des Stillstandes entgegenzuwirken. Durch das Tagebuchschreiben wurde der Krieg als besondere Zeit konstituiert und zugleich strukturiert. Auffällig sind dabei einerseits die individuellen Strategien, zeitliche Orientierung herzustellen. Andererseits fällt die graphische Darstellung von Be- und Entschleunigung ins Auge, die insbesondere den Übergang zwischen den verschiedenen Erfahrungsräumen der Soldaten prägte. Diese besondere Aufmerksamkeit für Geschwindigkeiten ist darauf zurückzuführen, dass zeitgenössisch nicht nur ein kurzer, sondern v. a. auch ein schneller Krieg erwartet worden war.

Erschienen in: traverse 2016/3, S. 77