«Theuerung! Hunger! war bald das allgemeine Losungswort» Die Teuerungs- und Hungerkrise der Jahre 1816/17


Das Jahr 1816 war das kälteste der letzten 250 Jahre. Das bisher letzte „Jahr ohne Sommer“ in der Geschichte Mitteleuropas kam ungelegen: Die Gesellschaften waren nach den Koalitionskriegen (1792-1815) erschöpft. Auf der einen Seite standen viele verarmte Menschen vor leeren Vorratskammern. Auf der anderen Seite führte die Mechanisierung der Spinnerei zu einem tiefgreifenden Strukturwandel, während protoindustrialisierte Regionen wie die Ostschweiz den Anschluss an das industrielle Zeitalter zu verlieren drohten. Es war diese „doppelte Geissel“ der Jahre 1816 und 1817, die zur letzten Hungersnot in der Schweiz führte.
In einer Zeit, in der rund die Hälfte des Einkommens für Getreide aufgewendet werden musste und in der die Haushalte noch kaum über Geldreserven verfügten, war die mit den Missernten des Jahres 1816 einhergehende Teuerung verheerend. Sie setzte eine Spirale in Gang, die fast alle Gesellschaftsschichten in die Tiefe zog: Die Unter- und Mittelschichten konnten sich ausser Lebensmitteln kaum noch etwas leisten; in der Landwirtschaft schwanden durch die Missernten die Verdienstmöglichkeiten für Tagelöhner; und Handel und Gewerbe litten durch die Teuerung sowohl unter leeren Auftragsbüchern als auch unter sinkenden Erträgen. Einzig Bauern, die ihre Überschüsse auf dem Markt verkaufen konnten, vermochten normalerweise zu profitieren.
Teuerung und Hunger wurden meist entpolitisiert dargestellt, auch wenn die Teuerungstafeln, die Erinnerungsbilder und die Bilderbogen in Verlagen in hoher Auflage auf private Initative hin erschienen. Sie folgten den überlieferten Narrativen von Subsistenzkrisen und blendeten die Krise in der Textilindustrie aus. Wahrscheinlich lebte der strafende Gott des Alten Testamentes nicht zuletzt deshalb auf den Bildern weiter. In Anlehnung an den Volksglauben sollten alle Sünder zum gleichen Schluss kommen: „Erkennt dass ein Gott ist.“

Erschienen in: traverse 2017/3, S. 63