Wenn Psychiatriepflegende selbst erkranken. Pflegekrisen im Alltag einer psychiatrischen Anstalt in den 1930er-Jahren


Die psychiatrische Krankenpflege stellt – bedingt durch den zweifachen gesellschaftlichen Auftrag der Psychiatrie, psychisch erkrankte Menschen zu betreuen und die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten – eine aufreibende Arbeit dar. Internat, Berufszölibat, lange Dienstzeiten, geringe Entlöhnung, wenig Freitage und Ferien sowie eine geringe berufliche Anerkennung prägten die Arbeitsbedingungen. Nicht nur die Kranken, sondern auch die Pflegepersonen waren durch das Zusammenfallen von Arbeits- und Wohnort einer umfassenden sozialen Kontrolle unterworfen und durch die therapeutische und Ordnungsfunktion mit widersprüchlichen Anforderungen konfrontiert. Eine Durchsicht der Personaldossiers der Basler Heil- und Pflegeanstalt Friedmatt zeigt, dass etliche Pflegepersonen nach vielen Dienstjahren mit Depressionen, physischer und psychischer Erschöpfung, erhöhtem Alkoholkonsum oder sadistischem Verhalten gegenüber den PatientInnen reagierten. Die Anstaltsdirektion versuchte, mit Pensionierung, Abteilungsversetzung oder Entlassung aus dem Staatsdienst die Auswirkungen solcher individuellen Arbeitskrisen auf die Pflegearbeit zu minimieren. Für die betroffenen Pflegepersonen kam oft erschwerend die Stigmatisierung als psychisch Erkrankte hinzu.

Erschienen in: traverse 2012/2, S. 57