Überschwemmung und gesellschaftliche Reaktionen. Der Tessin und die Wende in der Bewirtschaftung des Raumes nach der Katastrophe von 1868

(Alluvione e reazione. Il Ticino e le svolte nella gestione del territorio dopo la catastrofe del 1868)

Die Überschwemmung von 1868 gaben den schweizerischen Bundesbehörden den vielleicht entscheidenden Anstoss, die schon seit einiger Zeit laufenden Bemühungen im Bereich des Wasserbaus und vor allem der Forstwirtschaft zum Erfolg zu fÜhren, indem nun innerhalb eines Jahrzehnts eine solide und effiziente Gesetzgebung in Kraft gesetzt wurde. Die eidgenössischen Behörden erreichten so eine starke Kontrolle über die Berggebiete, ergänzte diese aber auch durch grosszügige Subventionen.
Im Tessin zeigte sich die Wirkung der Überschwemmung als Katalysator noch unmittelbarer. Das neue Forstgesetz wurde bereits 1870 verabschiedet, wenn auch die Umsetzung noch während Jahren auf Widerstand stiess. Im Wasserbau hingegen verfolgte man eine politische Linie, wie sie bereits 1853 eingeschlagen worden war. Hier bestimmten vorerst eher ökonomische Faktoren die Entwicklungen, aber für diese Entwicklungen musste man bis in die 1880er-Jahre warten. Die lokalen Behörden wie auch die Bevölke
rung reagierten im Allgemeinen emotional: Die anfänglich grosse Initiative ging bald zurück, als sie angesichts der beschränkten finanziellen Möglichkeiten an ihre Grenzen stiess. Auf Grund der Schwere der Katastrophe und des tiefen Eindrucks, den diese in der Bevölkerung hinterliess, leistete die Überschwemmung von 1868 jedoch ohne Zweifel einen grossen Beitrag zur Akzeptanz von Reformen mittels eidgenössischen und kantonalen Gesetzen, welche die Gemeindeautonomie deutlich beschnitten. Die neue Phase in der Bewirtschaftung des Raumes wurde also begünstigt durch einen Kontext, den wir als sehr günstig bezeichnen können, wobei wie sich ja auch bei anderen Anlässen beobachten lässt eine aussergewöhnliche Situation ausgenutzt werden konnte.

(Übersetzung: Agnes Nienhaus)

Erschienen in: traverse 2003/3, S. 115