Joël Graf (Universität Bern)
Der Umgang von Schweizer Hochschulen mit dem aktuellen Nahostkonflikt ist für viele Uniangehörige frustrierend. Dies zeigen die Beiträge in diesem Forum beispielhaft. Tatsächlich fällt auf, wie zurückhaltend die Hochschulen auf Forderungen zur Überprüfung von Kooperationen mit israelischen Forschungspartnern reagieren. Dies, obwohl verschiedene UN-Organisationen und NGOs im Kontext des Gaza-Kriegs gravierende Menschenrechtsverletzungen dokumentiert haben und der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Premierminister Benjamin Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Galant erlassen hat.
Unbestritten ist, dass im Zuge der Terrorangriffe vom 7. Oktober 2023 auch von Seiten der Hamas schwerste Verstösse gegen das Völkerrecht begangen wurden. Allerdings ist die schweizerische Zusammenarbeit mit palästinensischen Forschungspartnern deutlich geringer als mit Israel. Und das akademische System im Gazastreifen ist seit mehr als einem Jahr nicht mehr funktionsfähig: Alle örtlichen Universitäten sind zerstört und zahlreiche Studierende und Dozierende wurden getötet.[1]
Dass die Beziehungen mit israelischen Lehr- und Forschungsinstitutionen im Zentrum einer kritischen Debatte stehen, ist somit nachvollziehbar – aber den Unileitungen der Schweiz sichtlich unangenehm. Im Forums-Beitrag «Wieso die ETH Zürich politisch ist» wurde dann auch der Verdacht geäussert, dass im Nahostkonflikt andere Massstäbe angewendet werden als etwa gegenüber Russland oder dem Iran.[2] Die Universitäten argumentierten ihrerseits insbesondere mit dem Konzept der «Wissenschaftsfreiheit», um die Weiterführung der Kooperationen mit Partnern aus Israel zu rechtfertigen. Dass dieses Argument Gewicht hat, wurde in einem weiteren Beitrag ausgeführt.[3] Die Autorin hat sich in diesem Zusammenhang auch differenziert mit der Problematik von Boykottforderungen auseinandergesetzt. Gleichzeitig macht sie klar: Schweigen ist keine Alternative.
Wie also weiter? Meiner Meinung nach bietet «Knowledge Security» einen Weg aus der Sackgasse.[4] Ich berufe mich für die Beschreibung dieses Konzepts insbesondere auf die Arbeiten von Leo Eigner, der als Senior Researcher am Center for Security Studies der ETH Zürich (CSS) tätig ist.[5] Bei Knowledge Security geht es einerseits um die «Verhinderung unerwünschten Transfer von sensiblen Informationen, Know-how und Technologie, die Eindämmung ausländischer Einmischung in Forschung und Lehre sowie die Minderung von Abhängigkeiten, die die nationale Sicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit gefährden könnten.»[6] Andererseits adressiert Knowledge Security die «Gefährdung wissenschaftlicher Werte und die daraus resultierenden ethischen Bedenken.» Die Zusammenarbeit mit Akteuren aus Wissenschaft, Technologie und Innovation (WTI), «die direkt oder indirekt in Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind, stellt für Forschende und WTI-Organisationen ein ethisches Risiko dar.» [7]
2022 hat die Rektorenkonferenz der Schweizerischen Hochschulen swissuniversities Leitlinien mit dem Titel «Towards Responsible International Collaborations» herausgegeben. Darin ist zwar nicht explizit von «Knowledge Security» die Rede, aber die zugrundeliegende Idee wird deutlich adressiert. Die Leitlinien von swissuniversities sehen unter anderem vor, dass jede (!) internationale Kooperation von Schweizer Universitäten geprüft werden müsse «in the face of values such as academic freedom and institutional autonomy, ethical and legal aspects as well as benefits and limits of knowledge transfer.»[8] Konkret sollten Universitäten sich die Frage stellen, ob Forschung in Ländern durchgeführt werde, in denen es Menschenrechtsverletzungen gäbe.[9] Im Nationalrat gab es zudem im vergangenen Jahr eine Interpellation, in der angeregt wurde, in der Schweiz analog zu den Niederlanden eine nationale Kontaktstelle für Knowledge Security zu etablieren.[10]
Während bis zum Gaza-Krieg Knowledge Security vor allem auf Länder wie Iran, China oder Russland ausgerichtet war, rückt nun vermehrt Israel in den Blick. Exemplarisch dafür ist der kürzlich erschienene Artikel von Leo Eigner im jährlichen Sicherheitsbulletin des CSS, in dem ausdrücklich auf die Debatte der Forschungszusammenarbeit mit israelischen Partnern eingegangen wird.[11] Tatsächlich haben unter anderem die Universitäten von Gent und Rotterdam ihre Beziehungen zu Israel bzw. Palästina (teilweise) auf Eis gelegt, nachdem Kommissionen diese nach den Grundsätzen der Knowledge Security überprüft hatten.[12]
Das Konzept der Knowledge Security ermöglicht es somit, die internationale Zusammenarbeit in Lehre, Forschung und Innovation unter ethischen und sicherheitsrelevanten Aspekten zu beurteilen – und zwar gemäss dem Prinzip «as open as possible, as closed as necessary».[13] Die Kriterien gelten für alle Länder, was eine Versachlichung der Debatte erlaubt. Damit wird den Bedenken der Hochschulleitungen im Hinblick auf eine Politisierung der Wissenschaft Rechnung getragen. Gleichzeitig verpflichten sich diese, akademische Kooperationen systematisch zu überprüfen und nötigenfalls zu verhindern, falls die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen besteht. Ein blosser Verweis auf die Wissenschaftsfreiheit reicht nicht aus.[14]
[1] United Nations, «Human Rights, Office of the High Commissioner: UN experts deeply concerned over ‹scholasticide» in Gaza›», Medienmitteilung vom 18.04.2024. URL: https://www.ohchr.org/en/press-releases/2024/04/un-experts-deeply-concerned-over-scholasticide-gaza (15.12.2024).
[2] Claire Louise Blaser, Damian Moosbrugger, Lukas Rathjen, «Wieso die ETH Zürich politisch ist», Forum Traverse, 12.9.2024, https://revue-traverse.ch/wieso-die-eth-zuerich-politisch-ist/ (15.12.2024).
[3] Anna, «Die Uni braucht Diskussionsräume», Forum Traverse, 21.10.2024, https://revue-traverse.ch/die-uni-braucht-diskussionsraeume/ (15.12.2024).
[4] Joël Graf, «Der Verweis auf die Forschungsfreiheit allein reicht nicht», Der Bund, 5.7.2024, S. 13, https://www.derbund.ch/studentenproteste-gazakrieg-stuerzt-universitaeten-ins-dilemma-770048800435 (15.12.2024).
[5] Das CSS ist ein Kompetenzzentrum zu schweizerischer und internationaler Sicherheitspolitik.
[6] Leo Eigner, «Knowledge Security: Risiken in der Wissenschaft», CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 338, März 2024, 1–4, hier 1, https://css.ethz.ch/ueber-uns/CSS-news/2024/03/knowledge-security-at-stake.html (15.12.2024).
[7] Leo Eigner, «Knowledge Security: Ein neues Konzept für die Schweiz», in: Lucas Renaud, Daniel Möckli (Hg.), Bulletin on Swiss Security Policy (2024), 111–138, hier 117, https://css.ethz.ch/en/publications/bulletin/details.html?id=/k/n/o/w/knowledge_security_ein_neues_konzept_fr_ (15.12.2024).
[8] Swissuniversities, Towards Responsible International Collaborations: A Guide for Swiss Higher Education Institutions, Bern 2022, 3, swissuniversities.ch/fileadmin/swissuniversities/Dokumente/Internationales/Guide_Towards_responsible_international_collaborations2.pdf (15.12.2024).
[9] Swissuniversities (wie Anm. 8), 9.
[10] Céline Weber (Nationalrätin GLP), «Sollte es nicht eine nationale Kontaktstelle für die Sicherheit von Schweizer Wissen und Technologie geben?», Interpellation 23.4203 (Nationalrat), 28.09.2023, https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20234203 (15.12.2024).
[11] Eigner (wie Anm. 7), 118–120.
[12] Universität Gent, «Cooperation with Israeli Partners», 31.5.2024; Committee on Human Rights Policy and Dual-Use Research (Universität Gent), «Advice on Current Collaborations Between Ghent University and Israeli Entities», 30.05.2024, https://www.ugent.be/en/news-events/cooperation-with-israeli-partners-update-31-may-2024 (15.12.2024). Elmer Smaling, «Erasmus University freezes new Israeli and Palestinian collaborations: ‹First conduct prior assessment›», Erasmus Magazine (09.09.2024), https://www.erasmusmagazine.nl/en/2024/09/09/erasmus-university-freezes-new-israeli-and-palestinian-collaborations-first-conduct-prior-assessment/ (15.12.2024). Vgl. auch Universität Leiden, «Our Ties with Israeli Universities», 17.05.2024, https://www.universiteitleiden.nl/en/news/2024/05/our-ties-with-israeli-universities (15.12.2024).
[13] Europäische Kommission, Proposal for a Council Recommendation on Enhancing Research Security, Brüssel 2024, https://www.consilium.europa.eu/en/documents-publications/public-register/public-register-search/?DocumentNumber=9097%2F24 (15.12.2024).
[14] Graf (wie Anm. 4).