Der bittere Geschmack des Archivs

Während die fortschreitende Digitalisierung die weitere Verbreitung von historischen Daten und Dokumenten fördert, bleiben die Zugangsmodalitäten zu sogenannten sensiblen Archivbeständen schwierig. Im Vorfeld jeder Forschung muss über den Zugang zu bestimmten Archivquellen verhandelt werden – ein Vorgehen, das bei der Präsentation der Forschungsergebnisse selten erläutert wird.

Die traverse 1/2023 beschäftigt sich daher mit den Fragen und Problemen, die der Zugang zu Archiven für Historiker*innen, Archivar*innen und Bürger*innen, die historische Dokumente einsehen möchten, aufwirft. Sie umfasst mehrere Beiträge zu verschiedenen Fallstudien – kirchliche Archive, Wirtschaftsarchive, Unternehmensarchive, audiovisuelle Archive – sowie Debatten und Interviews über die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung, mit sensiblen Dokumenten und mit der Rechtsprechung zum Zugang zu Archiven. 

Die jüngste Entscheidung des Bundesgerichts zum Zugang zu Archiven, die die Ausweisung des zairischen Exilanten Mathieu Musey in den 1980er-Jahren betrafen, hat viel Aufmerksamkeit erregt. Wir veröffentlichen im Themenheft auch das Interview mit dem Historiker Jonathan Pärli, in dem er über seinen langen Rechtsstreit um den Zugang zu diesem Dossier des Bundesarchivs spricht.

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Vue de l’exposition Nous, saisonniers, saisonnières… Genève 1931-2019 © Photo Aurélien Mole

Ausstellungen über Saisonarbeiter*innen

Das Thema der dritten Nummer der traverse im Jahr 2022 – Saisonarbeiter*innen in der Schweiz – scheint am Puls der Zeit zu sein. Während die Skiorte für die beginnende Saison aktiv nach knapp gewordenen Arbeitskräften suchen, zeichnen zwei Ausstellungen das Schicksal dieser Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter nach. Dieses ist in letzter Zeit Gegenstand historischer und erinnerungspolitischer Überlegungen geworden und steht derzeit in zwei Museen in La Chaux-de-Fonds und Biel im Mittelpunkt.

Das Historische Museum in La Chaux-de-Fonds zeigt eine Ausstellung über die „Schrankkinder“ (bis zum 9. März 2023), die auf einem Forschungsprojekt des Schweizerischen Nationalfonds basiert und deren Autorinnen zu dieser Ausgabe der traverse beigetragen haben. Die Ausstellung zeichnet das Schicksal von Zehntausenden von Kindern nach, die versteckt in der Schweiz lebten, da die Saisonnierbewilligung die Familienzusammenführung untersagte. Das Neue Museum Biel übernimmt bis zum 25. Juni 2023 die 2019 in Genf gezeigte Ausstellung Nous, saisonniers, saisonnières…, passt sie jedoch an.

Im öffentlichen Raum hingegen erinnern nur wenige Spuren an das Schicksal dieser Arbeitskräfte aus Italien, Spanien, Portugal und dem ehemaligen Jugoslawien, die die Schweiz über 70 Jahre lang, zwischen der Einführung des Statuts im Jahr 1931 und seiner Abschaffung im Jahr 2002, ins Land geholt hat. Zwanzig Jahre später wird das Thema durch die Forderung einer Vereinigung nach Entschädigung wiederbelebt, die die Interessen ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Kinder vertreten will, die unter den Beschränkungen für Inhaber von A- (Saisonarbeiter) und B-Bewilligungen (Jahresaufenthalter) gelitten haben.

Bildlegende: Vue de l’exposition Nous, saisonniers, saisonnières… Genève 1931-2019 © Photo Aurélien Mole